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Freitag, 05 Februar 2021 10:15

Exponat des Monats Februar 2021

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Oben: Staden wird von den Frauen ins Dorf geführt. Mitte: Der letzte Tanz mit Rasseln und Federschmuck. Acrylbild von Ilse-Lore Bezzenberger nach dem Holzschnitt aus Stadens Warhaftiger Historia (1557)  Oben: Staden wird von den Frauen ins Dorf geführt. Mitte: Der letzte Tanz mit Rasseln und Federschmuck. Acrylbild von Ilse-Lore Bezzenberger nach dem Holzschnitt aus Stadens Warhaftiger Historia (1557) Museum

Hans Staden und die Frauen

- Der Beginn seiner neunmonatigen Gefangenschaft

von Wolfgang Schiffner

Ja, es war schrecklich, er hatte Todesangst. Hans Staden konnte sich zwei Jahre später noch an jedes Detail erinnern.

Als Gefangener war er Anfang 1554 am Strand vor der Siedlung Ubatuba (Uwattibi) angekommen. Kaum war er aus dem Boot gestiegen, als die Frauen der Tupinambá ihn sahen. Sie liefen von den umliegenden Feldern schreiend auf ihn zu und drohten ihm. Er wurde gezwungen zu sagen: „A Junesche been ermivramme. Das ist: „Ich, euer essenspeise komme.“ Er wusste genau, was ihm bevorstand: Er sollte aus Rache für die Tötung von Stammesmitgliedern geopfert und verspeist werden. Inzwischen hatten sich alle Bewohner der Siedlung versammelt. Staden wurde von Frauen, die vor und hinter ihm gingen, zu den Holzpalisaden geführt, die das Dorf umgaben. Sie erreichten schließlich den zentralen Platz der Siedlung. Die Frauen tanzten, sangen Lieder und drohten, „wie sie mich essen wölten.“ Die Männer verschwanden in die Hütten, feierten mit ihren Riten und dankten den Göttern, dass man Staden gefangen hatte. Den überließen sie erst einmal den Frauen.  
Die stürzten sich jetzt auf Staden, schlugen ihn, rissen an seinem Bart und schrien ihn an: „Sche innamme pepike a e. Das ist so vil gesagt: Den schlag reche [räche] ich an dir von meines freunds wegen/Den die / darunter du gewesen bist/ getödtet haben.“ Staden wurde in eine Hütte geführt, musste sich in eine Hängematte legen und wurde eine halbe Stunde lang von Frauen geschlagen und gequält. Sie drohten ihm weiter, dass er getötet und gegessen werde. Dass er als Mann, als Soldat, von Frauen so gedemütigt wurde, das musste ihn im Inneren tief verletzen. Doch wie er sich fühlte, erwähnt er mit keinen Wort. Dass er bald sterben musste, war zu erwarten. Aber wann?
Nach dieser Tortur wurde er schließlich zu dem Mann geführt, der den Tag bestimmen konnte, an dem Staden erschlagen würde. Der wusste allerdings, dass die Frauen vorher erneut eine rituelle Rolle in der Behandlung des Gefangenen zu spielen hatten. „Yetzt werden die frawen dich außführen/ aprasse,“ erklärte er Staden. Das Wort „aprasse“ kannte Staden noch nicht, merkte aber bald, dass es „Tanz“ hieß. Es stellte sich heraus, dass es ein ganz besonderer Tanz war. Er bekam einen Strick um den Hals und wurde von den Frauen bei diesem „Tanz“ so herumgezerrt, dass er kaum Luft bekam. Was hatten sie mit ihm vor?
Da war sie wieder, die Todesangst. Und in diesem Moment der Qual wird ihm etwas bewusst: Er dachte an das Leiden „unsers Erlösers Jesu Christi, wie er von den schnöden Juden unschuldig leyd [litt]. Dadurch tröstete ich mich und war desto gedultiger.“ Ob er das damals wirklich gedacht hatte, sei dahingestellt. Staden versucht sich in seinem Reisebericht immer als standhafter Christ zu zeigen. Für seine vom christlichen Glauben geprägten Leser wird er damit zum guten Beispiel, wie man sich angesichts der Wilden, der Kannibalen in Todesgefahr richtig verhält.
Aber noch waren die Demütigungen nicht beendet. Staden wurde vor die Hütte des Häuptlings geführt und musste sich auf einen Erdhaufen setzten. Eine Frau kam auf ihn zu mit einem „Kristallsplitter“, der an einen Gerät befestigt war, der wie ein Zweig aussah und schor ihm damit die Augenbrauen ab. Auch der Bart sollte ab. Staden protestierte heftig und sogar kurzzeitig mit Erfolg, doch einige Tage später wird er mit einer Schere entfernt, die man von französischen Händlern erworben hatte.
Nun folgte das Finale des Tanzes. Vor der Hütte mit den heidnischen Götzen bildeten die Frauen einen Kreis um den nackten und geschorenen Staden. Er bekam rasselnde Gegenstände ans Bein gebunden und ein viereckiger Fächer aus Vogelfedern wurde an seinem Hinterkopf befestigt. Die Frauen fingen an zu singen und Staden musste dazu den Takt stampfen mit den an seinen Beinen befestigten Rasseln. Weil er bei der Gefangennahme am Bein verletzt wurde, war das äußerst schmerzhaft. Nach diesem Tanz wurde er endlich an den Mann ausgeliefert, der ihn für die folgende Zeit in sicherer Haft halten wird. Ab jetzt sind es die Männer, die über sein Schicksal entscheiden werden.

Später kam es zu einer Annäherung zwischen Hans und zumindest der Frau, die er "heiratete".

 

Gelesen 2911 mal Letzte Änderung am Freitag, 05 Februar 2021 10:49