Obwohl schon 1348 der hessische Landgraf Heinrich II. die Bürger seiner Stadt aufforderte, wegen der Brandgefahr und zur Stärkung der Wehrhaftigkeit ihre Häuser aus Stein zu bauen, errichteten über Jahrhunderte hinweg die Bürger ihre Häuser in der Fachwerkbauweise, von denen in Wolfhagen trotz baulicher Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts und der Sanierungssünden der letzten Jahrzehnte noch immer viele Exemplare erhalten sind. Dabei besteht der am häufigsten anzutreffende Typ, den auch das Exponat des Monats März zeigt, aus einem Fachwerkvorderhaus, unter dem sich ein tonnengewölbter Keller befindet, und aus einem Hinterhaussteinwerk, zu dem ein kreuzgratgewölbter Keller mit Mittelsäule und ein darüber angelegter Kaminraum mit Fachwerkaufsatz gehören.
Das Fachwerkvorderhaus wurde im vorliegenden Beispiel nach dem Stadtbrand im Jahr 1632 in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg über dem aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhaltenen tonnengewölbten Keller wieder aufgebaut. Das Hinterhaussteinwerk ist älter, wie die monolithische Mittelsäule des Kellers aus dem frühen 14. Jahrhundert zeigt. Im Kaminraum darüber befindet sich noch eine Kaminwange mit Stilelementen der Renaissance, die auf die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts verweisen. Dieser Kamin zeigt die Bedeutung des heizbaren, rauchfreien Saales für das Wohnen an den herausgehobenen Tagen im Jahreskreislauf, während denen das Vorderhaus mit seinen Wirtschaftsfunktionen vorübergehend verlassen wurde. Es ist überliefert, dass sich im Hinterhaussteinwerk neben Speicherraum für die Ernte auch Schlafkammern und ein Abort befanden und dass dort Frauen ihre Kinder gebären konnten. Als besonderer Reiz lassen sich bei diesem Modell an zwei Stellen Teile der Wand herausnehmen, so dass der Blick in die Keller mit Tonnengewölbe und gotischem Kreuzgratgewölbe möglich wird.
Das Fachwerkvorderhaus stellt einen Vierständerbau dar, das bedeutet, dass an den Ecken der Giebelseite und an den Seiten des Deelentores vier Ständer vom Fundament bis zum Giebel reichen. Es handelt sich um ein dreizoniges, zweigeschossiges Längsdeelenhaus mit den drei Zonen Stall, Deele und Wohnen, in die es der Länge nach unterteilt ist. Die landwirtschaftliche Nutzung ist bestimmend. Man erkennt deutlich das wegen der Brandgefahr immer zu bewachende, ständig benötigte offene Herdfeuer im Flett am Ende der zentralen Deele, die bei diesem Modell in Hanglage eingeschossig ist, so dass gerade noch Fuhrwerke mit der Ernte einfahren können.
Nicht alle, aber die meisten Fachwerkhäuser in Wolfhagen haben hauptsächlich Merkmale von Längsdeelenhäusern und weniger von Querdeelenhäusern. Das ist durch die Lage der Stadt im Grenzgebiet zwischen niederdeutscher Kultur und mitteldeutscher Kultur begründet, wobei Wolfhagen gerade noch überwiegend zum niederdeutschen Kulturbereich gehört, was man auch am Verlauf der sprachlichen Ick-Ich-Linie zwischen Balhorn und Istha, der so genannten Benrather Linie, erkennen kann. Die niederdeutschen Längsdeelenhäuser sind mit dem Giebel zur Straße ausgerichtet, die mitteldeutschen Querdeelenhäuser dagegen mit der langen Traufseite zur Straße, oft noch mit einem Zwerchgiebel ausgestattet. Für beide Haustypen zeigt die Fachwerkabteilung des Museums Modelle (Modelle Nr. 1, 2, 3, 4, 6 und 7 für Längsdeelenhäuser; Modelle Nr. 5, 9 und 10 für Queerdeelenhäuser). An den Besuch der Fachwerkabteilung könnte sich in der Stadt ein Gang zu dem Fachwerkhaus „Große Teichstraße 5“, das dem Modell Nr. 1 zu Grunde liegt, anschließen.
Weitere Informationen: Regionalmuseum Wolfhager Land, 05692/992431, www.regionalmuseum-wolfhager-land.de
Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung.