Alles was sich in ihrem Umfeld bewegt, was sich öffnen und schließen lässt, herausnehmen, wieder einräumen, zieht Kinder magisch an. Das war früher nicht anders, wenn sich auch die Dinge an sich und das soziale Umfeld gewandelt haben. Noch bis in die Nachkriegszeit hinein beherrschte ein großer, holzbefeuerter Küchenherd die Wohnküche, je nach Wohlstand mehr oder weniger gut ausgestattet. Kinder erlebten ihre Mutter oder Großmutter, bei Wohlhabenden auch das Dienstpersonal, wie sie tagtäglich am Herd standen und die Mahlzeiten zubereiteten.
Nachahmung der Erwachsenenwelt
Im Spielzeug wird die Erwachsenenwelt nachgeahmt, und der kleine Puppenherd (H. max. 28 cm, B. 25,5 cm, T. 18,5 cm) gehörte etwa zwischen 1850 und 1940 zu den ganz besonderen Spielzeugen. Er wurde aus geprägtem Stahlblech hergestellt und verfügt über alle Attribute der großen „Kochmaschinen“: Herdplattenlöcher zum Einsetzen der Kochtöpfe, ein Schiffchen mit Wasserkran zum Erwärmen von Brauchwasser, eine Backröhre mit Backblech und eine umlaufende Reeling, damit niemand dem heißen Herd zu nahe kommt und sich daran verbrennt. Die Kochtöpfe sind aus Weißblech gefertigt, haben Messinggriffe und sehen genauso aus wie ihre großen Vorbilder. Natürlich wurde der Puppenherd nicht mit Holz befeuert, sondern – nicht ganz ungefährlich – mit einem seitlich eingeschobenen Spiritusbrenner. Oder es wurde nur Kochen „gespielt“. Gespielt wurde deshalb vermutlich nur unter der Aufsicht der Erwachsenen und wohl ausschließlich an besonderen Tagen im Jahreslauf wie zu Weihnachten, zu Ostern oder am Geburtstag.
Gebrüder Bing, Nürnberg
Auf der Unterseite des Herdes ist die Firmenmarke „G.B.N.“ (in einer Raute) gefolgt von „Bavaria“ eingeprägt, was ihn als Erzeugnis der Nürnberger Metallfabrik Gebr. Bing aus der Zeit zwischen ca. 1900 und 1917 ausweist. Die Firma wurde 1864 als Metallwarengeschäft von Adolf Bing gegründet und später von seinem Bruder Ignaz übernommen. Dessen Sohn Stephan führte das Unternehmen bis 1927 weiter. Um 1908 galt Bing als größter Spielwarenproduzent der Welt mit über 4.000 Beschäftigten. Die Spielzeugproduktion wurde im Jahr 1932 eingestellt.
Spielzeug für Gutgestellte
Für die meisten Mädchen, früher waren Puppenherde reines Mädchen-Spielzeug, waren solche feinen Herde ein unerreichbarer Traum und für viele Eltern unerschwinglich. Ein Bing-Herd mit Töpfen dürfte Anfang des 20. Jahrhunderts etwa 4,50 Reichsmark gekostet haben. Das entsprach ungefähr dem Tageslohn eines gut bezahlten Fabrikarbeiters. Diese kleine „Kochmaschine“ gehörte einst einem Mädchen aus dem familiären Umfeld der alteingesessenen Wolfhager Apothekerfamilie Hardt (Hardt’sche Apotheke), vielleicht auch der im Jahr 1909 geborenen Elisabeth Hardt. Das Museum hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder kulturgeschichtlich wertvolle Objekte aus dieser Familie unentgeltlich erhalten und bedankt sich bei der Familie Karl-Wilhelm Heisen für die großzügige Schenkung. Damit konnte die kleine Spielzeugsammlung wieder einmal um ein sehr interessantes Stück ergänzt werden.