Als Zünfte bezeichnet man ständische Körperschaften von Handwerkern, die bereits seit der Stadtgründungsphase des 13 Jahrhunderts zur Wahrung gemeinsamer Interessen bestanden und noch bis 1869 - mit einer kurzen Unterbrechung während der napoleonischen Zeit - existierten, bevor sie mit der Einführung der Gewerbefreiheit im 1871 entstandenen deutschen Kaiserreich aufgelöst wurden. Die Zünfte bildeten ein soziales und ökonomisches System zur Regelung von Rohstofflieferungen, Beschäftigungszahlen, Löhnen und Absatzmengen bis hin zur Witwenversorgung und zu Beihilfen bei Krankheiten und Sterbefällen aus der Zunftkasse. Im öffentlichen Leben der Stadt spielten die Zünfte bei Festen, aber auch bei Prozessionen, Gottesdiensten, Wach- und Stadtmauerdiensten, beim Feuerlöschen und bei den Bürgerwehren eine wichtige Rolle.
Äußere Zeichen der Zünfte waren nach mittelalterlicher Tradition Zunftordnung, Wappen, Zunftzeichen und Zunftkleidung. Die Zünfte schrieben ihren Mitgliedern zur Sicherung der Produktionsqualität die Produktionsmethoden vor. Dadurch wehrten sie zwar Überproduktionen ab, andererseits verhinderten sie dadurch aber auch die Einführung neuer, produktiverer, eventuell weniger gesundheitsgefährdender Produktionstechniken. Sie ermöglichten ihren Mitgliedern jedenfalls ein standesgemäßes und damit „gerechtes“ Einkommen. Den Verbrauchern war durch das Ausschalten des Preiswettbewerbs ein stabiles Preis-Leistungs-Verhältnis, allerdings auf einem hohen Preisniveau, garantiert.
Indem die Zünfte an der Stadtverfassung mitwirkten, konnten sie auch wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Ziele durchsetzen. Da in Wolfhagen eine breite Kaufmannschaft fehlte, auf die der Landgraf als Stadtherr neben den niederadeligen Grundbesitzern und Burgmannen die Verwaltungsaufgaben der Stadt hätte übertragen können, nahmen die Zünfte von Anfang an auch eine politische Funktion wahr, wodurch sie automatisch in die öffentliche Gesetzgebung eingeschaltet wurden.
Betrachtet man die Mitgliederzahl in der Zunft der Bauhandwerker und hier insbesondere die der Maurer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, so fällt der starke Anstieg von 9 Maurern auf 37 Maurer innerhalb von nur 17 Jahren auf. Hierin spiegelt sich unter dem Einfluss des Klassizismus und seinem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis die vermehrte Anwendung der Steinbauweise wieder, mit der jetzt die zahlreichen durch Brände entstandenen Baulücken geschlossen wurden.
Dass häufig in der Ackerbürgerstadt Wolfhagen ein Überleben im Handwerk nur mit Hilfe des landwirtschaftlichen Zuerwerbs möglich war, zeigen zahlreiche Überlieferungen der Zünfte. Fehlte der Hintergrund eines ausreichenden landwirtschaftlichen Erwerbs, war man oft größter Not ausgeliefert. So konnten oft zünftige Handwerksmeister nicht einmal ihren Sohn bei ihrer eigenen Zunft anmelden, weil ihnen das Geld für die Eintrittsgebühr fehlte.
Die Zunftlade war der Aufbewahrungsort u. a. für das Zunftvermögen, die Privilegien-Urkunden und für die kultischen Gerätschaften. Dadurch hatte die Zunftlade für gewisse zünftige Handlungen eine symbolische Bedeutung. Nur bei geöffneter Lade konnten Eide gesprochen und Strafen im Sinne der Zunftgerichtsbarkeit verkündet werden. In der Zunftlade, die in der Regel der Zunftmeister verwahrte, wurden neben dem Zunftbrief, den Zunftordnungen und weiteren Urkunden vor allem Rechnungen und Darlehens-Obligationen aufbewahrt. Bei den ordentlichen Zunftversammlungen flossen die regelmäßig fälligen Beiträge der Meister in die Zunftkasse. Dazu kamen einmalige Einnahmen wie die Aufnahmegelder neuer Meister, Aufdingungsgebühren von Lehrlingen, Lossprechungsgebühren von Gesellen und Strafgelder. Einige der zahlreichen Altäre in der Stadtkirche St. Anna, die zur Zeit des Bildersturmes um 1600 alle beseitigt wurden, dürften mit finanzieller Beteiligung von Zünften und wohlhabenden Bürgern errichtet worden sein.
Weitere Informationen: Regionalmuseum Wolfhager Land, 05692/992431, www.regionalmuseum-wolfhager-land.de
Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung.