Aber es gab auch dauernd drohende Gefahr. Seit vielen Monaten war er hier mit zwei Indianersklaven an der Nordspitze der Insel Amaro in einem kleinen Blockhaus stationiert. Nur 500 Meter gegenüber lag an der Küste die Festung Bertioga, wo portugiesische Soldaten untergebracht waren. Alle hatten die Aufgabe, Angriffe der Tupinambá in ihren Booten auf die Siedlung Sao Vicente 25 Kilometer im Süden schon im Vorfeld zu verhindern. Doch seit über einem halben Jahr war alles ruhig geblieben, kein Angriff, nichts.
Als Staden im März 1553 in Sâo Vicente eintraf, hatte er Helidorus Hessus getroffen. Welch eine Überraschung! Er war der Sohn des großen Humanisten und neulateinischen Dichters Eobanus Hessus, im Jahr 1540 verstorbener Professor in Marburg. Heliodorus wurde später Schreiber in der landgräflichen Kanzlei in Kassel. Jetzt war er hier Aufseher in der Zuckerfabrik der Brüder Adorno aus Genua und leitete die Buchhaltung. Was lag näher, dass Staden im Gespräch mit Heliodorus einen Besuch vereinbarten. Einige Zeit später kam er mit einem Spanier für einige Tage zu Besuch. In der Adventszeit hörte er, dass Staden krank sei, und Heliodorus wollte ihn erneut besuchen. Staden war keineswegs krank, wie er uns berichtet, doch der Besuch so kurz vor Weihnachten war sicher sehr erwünscht.
Staden war aufgestanden und war sich sicher, dass sein Besuch bald eintreffen würde. Aber was würde er ihm zum Essen vorsetzten? Natürlich sollte es neben den selbst angebauten Lebensmitteln auch Fleisch geben. Dafür musste man sich aufmachen und im Wald jagen. Staden hatte bereits am Tag zuvor seinen Leibeigenen losgeschickt, damit er Wild erlegen konnte. Er war an diesem Morgen noch nicht zurück und Staden wurde ungeduldig. Endlich entschloss er sich selber loszulaufen und ihn hoffentlich mit Beute zu finden.
Er war noch nicht weit gekommen, als er vielstimmiges Geschrei hörte. Sofort erkannte er: das waren die Tupinambá. Doch alles war zu spät, er konnte nicht entkommen, als er von den Feinden umringt wurde. Eine Waffe mitzunehmen hatte er vergessen; jetzt wurde er mit Pfeilen beschossen und verletzt. Er brach zusammen und konnte nur noch schreien: „Gott helfe meiner armen Seele.“ Man reißt ihm die Kleider vom Leib, ergreift ihn und schleppt ihn in ein Boot, in dem er nach Ubatuba gebracht wurde, in die Siedlung der Tupinambá.
Auf dem Holzschnitt sieht man in der Mitte, wie Staden ergriffen wird, nicht weit von seinem Blockhaus. Stehend und betend erkennt man Staden im Boot der Tupinambá. Geschützfeuer aus dem gegenüber liegenden Brigiaco (Beritoga) können das nicht verhindern. Oben ist Sâo Vicente auf einer Insel angedeutet. Auf dem Festland befindet sich ein ingenio, eine Zuckerfabrik. Auch die Vögel, die hier davon fliegen, wird Staden später genau beschreiben.
Kein schönes Weihnachtsfest mit einem Freund, kein genüssliches Essen, keine hoffnungsvolle Zukunft. Alles brach für Staden zusammen und die Todesangst beherrschte ihn. Und doch, die Hoffnung auf Gott richtete ihn wieder auf. Feierte man nicht bald die Geburt des Erlösers? Würde nicht Gott und sein Sohn ihm helfen, ihn erretten, erlösen aus der Gewalt der Heiden? Diese zutiefst gläubige Haltung hat Staden die Gefangenschaft überstehen lassen, hat ihn zurück nach Hessen kommen lassen. Er wurde Bürger von Wolfhagen und veröffentlicht seine Erlebnisse 1557 in Marburg. Sie sind bis heute ein ergreifender Bericht über seine Erfahrungen in Brasilien.